Mit Umberto Eco starb am 19. Februar diesen Jahres einer der Größten der Literatur und Literaturwissenschaft des 20. Jahrhunderts. Lange, bevor er Romane schrieb, war er schon ein anerkannter Sprach- und Literaturwissenschaftler, seine Einführung in die Semiotik gilt bis heute als Standardwerk. Weltbekannt wurde er durch seinen Roman Der Name der Rose, nicht zuletzt wohl aufgrund der Verfilmung mit Sean Connery in der Hauptrolle, die in dem Ruf steht, eines der seltenen Beispiele dafür zu sein, dass ein Film besser ist als das Buch, auf dem er basiert. Auch wenn ich den Film mag – diese Meinung teile ich nicht, denn er reduziert dieses unglaublich vielschichtige, extrem intertextuelle Werk zum größten Teil auf die Lesart als Kriminalroman, was ihm absolut nicht gerecht wird.
Von ebensolcher Vielfalt an Zitaten und Beziehungen zu anderen Werken ist der zweite, ebenfalls weltweit erfolgreiche Roman Ecos Das Foucaultsche Pendel (1988). Die Rahmenhandlung lässt sich noch einigermaßen zusammenfassen; im Zentrum steht der Ich-Erzähler Casaubon, der während seiner Dissertation über die Templer bereits einige seltsame Gestalten trifft, unter anderem einen Herrn Agliè, der sich als der Graf von Saint-Germain ausgibt. Später landet Casaubon in einem kleinen Wissenschaftsverlag, der beginnt, eine Buchreihe über recht esoterische Themen herauszubringen, immer wieder kommen dabei die Templer, aber auch die Rosenkreuzer ins Spiel, nicht zu schweigen von Unmengen immer verrückterer Gestalten, aber auch historischen Personen wie Francis Bacon. Angetrieben von diesen weit verzweigten Verschwörungstheorien, mit denen Casaubon und seine Kollegen täglich bei der Arbeit an diesen Manuskripten konfrontiert werden, beginnen sie, ihre eigene zu entwickeln, eine die ganze Welt umfassende Verschwörung, die ihren Anfang bei den Templern macht, beginnt, Gestalt anzunehmen. Problematisch wird es, als sie selbst nicht mehr vollkommen überzeugt sind, frei zu erfinden, und vor allem eine Gruppe von Menschen auftaucht, die diese Spekulation vollkommen ernst nimmt.
So viel zur Handlung. Sie gibt dem Geschehen einen Rahmen, sie bringt Spannung hinein und ist für sich genommen schon so verrückt, dass es Spaß macht, sie zu lesen. Viel wichtiger aber bei Eco ist sein Erzählverfahren. Er springt in der Zeit, im Zickzack durch die Handlung, mit Rückblenden und Vorausdeutungen, die vollkommen willkürlich aneinandergereiht wirken, aber dennoch eine sinnvolle Einheit bilden. Ständig ist man neugierig, will wissen, was diese seltsamen Vögel antreibt, mit denen man es zu tun bekommt und verliert irgendwann, genau wie die Protagonisten, ein bisschen den Halt in der Realität, beginnt sich zu fragen, wie viel davon möglicherweise stimmen könnte.
Ecos Romane sind Collagen aus Zitaten, sie spielen mit Andeutungen und Hinweisen auf die ganze literarische Welt. Es ist schier unglaublich, wie belesen Eco war, es scheint, als könne man jeden Satz seiner Werke auf andere beziehen, jede seiner Formulierungen kann man irgendwo wiederfinden, wenn man nur lange genug gräbt. Mir wird sich nur ein Bruchteil dieser Anspielungen erschlossen haben und selbst von dem wenigen, das ich zuordnen konnte, war ich überwältigt. Phasenweise hat man das Gefühl, keinen Roman zu lesen, sondern einen Auszug aus der Auflistung eines literarischen Kanons – nur viel fesselnder.
Manche Elemente der dargebrachten Theorien sind so aberwitzig, dass man nur darüber lachen kann, wie beispielsweise die Verkettung von Ghostwritern, die an einer Stelle vermutet wird: Ein gewisser Kelley habe anstelle von Shakespeare dessen Dramen und Sonette verfasst, weil Shakespeare damit beschäftigt war, die Werke zu schreiben, auf denen der Name Francis Bacons stehe würde. Der, eigentlich in der Lage, seine Arbeit selbst zu tun, habe dazu keine Zeit gehabt, denn er habe Rosenkreuzer-Manifeste unter dem Namen Andreae verfasst. Der Herr Andreae aber, dem man diese Werke zuschrieb, war selbst der Ghostwriter Miguel de Cervantes’, schrieb also den berühmten Roman, dessen Titel heute zumeist mit Don Quijote abgekürzt wird. Das relevante Element in dieser Abfolge ist vor allem die eigentliche Arbeit Bacons – der habe nämlich eine andere als die seine, englische Gruppe von Templern aus der Reserve locken wollen. So für sich genommen klingt dies, als habe es sich ein vollkommen irrer Spinner ausgedacht, in der Argumentation des Romans erscheint es logisch. Dieses Gefühl hat man während der Lektüre des Roman wiederholt und am Ende bleiben Verwirrung und die Frage, wie viel von dem, was er da verknüpft hat, Eco selbst geglaubt, wie viel er erfunden und wie viel er sich von anderen Verschwörungstheoretikern abgeguckt hat. Eine Frage, die man wohl nicht beantworten kann, aber den Roman zu lesen kann ich jedem nur ans Herz legen, gerade jetzt, als letzte Ehrung dieses großen Mannes.