obstivision

Buecher, Rezensionen, Beschwerden. Alles ums Lesen.

Monat: Mai, 2016

Gustave Flaubert – Madame Bovary

Eine Vorlesung zum skandinavischen Roman im letzten Semester gab mir viele Anregungen im Hinblick auf zu Lesendes. Vorrangig waren das aber die Romane aus anderen europäischen Ländern, die zur Einordnung genannt wurden. Darunter war auch Die Brüder Karamsov von Fjodor Dostojewskij, nun folgt Flauberts Madame Bovary, die Erzählung der jungen Emma, die sich auf dem Landwirtschaftsbetrieb ihres Vaters langweilt und durch ihre Heirat mit dem nicht allzu intelligenten und erfolgreichen, sie aber stets liebevoll und untertänig umsorgenden Arzt Charles Bovary hofft, einem aufregenden Stadtleben näher zu kommen.

Auch als Ehefrau langweilt sie sich schnell wieder und stürzt sich in zwei Affären, in denen sie hofft, ihre Träume von romantischer Liebe erfüllt zu sehen. Beide Male glaubt sie zunächst daran, gefunden zu haben, was sie sucht, sie vernachlässigt Ehemann, Kind und Haushalt, um sich dem Liebhaber hinzugeben, verstrickt sich immer mehr in ein Gewirr aus Schulden und findet doch immer wieder nur Langeweile und Gewöhnung, bis sie sich, verarmt und verzweifelt, selbst umbringt. Die Trauer über ihren Verlust reißt auch ihren Mann mit in den Tod, nachdem er, der niemals eifersüchtig war und immer an die Zuneigung seiner Frau glaubte, zuletzt doch unumstößliche Beweise für ihren Ehebruch findet.

Soweit klingt die Handlung nicht überraschend,was sie hingegen lesenswert macht, ist, wie Flaubert mit seiner Hauptfigur umzugehen weiß. Zu Beginn stellt er sie dar als etwas naives, intelligentes Mädchen vom Lande, das von der großen Welt und vor allem dem Leben in der Großstadt Paris träumt. Sie wirkt sympathisch und man möchte ihren Weg mitgehen und sie glücklich werden sehen. Ein Ball, an dem das Ehepaar Bovary teilnehmen darf, weil der Arzt den Gastgeber zufriedenstellend behandelt hat, lässt hoffen, dass Emma erreichen wird, was sie sich erträumt. Ganz subtil jedoch verändert der Autor den Eindruck, den man von Emma erhält. Ihre Naivität wird zur Sorglosigkeit, ihre Suche nach romantischer Liebe driftet ins nahezu Lächerliche ab. Die heftigen, nahezu obsessiven aber innerhalb kürzester ausgebrannten Affären sind nur noch Beispiele dafür, wie ein Mensch die Kontrolle über sein Leben verliert. Dies gipfelt in dem immensen Schuldenberg, der unter dem Einfluss des gerissenen Dorfkaufmannes angehäuft wurde und aufgrund dessen der gesamte Besitz der Bovarys gepfändet wird. Auch dieser letzten Konsequenz ihres liederlichen Handelns weiß Emma sich zu entziehen, durch den Selbstmord mit Hilfe von Arsenik, das sie ihrem Nachbarn, einem Apotheker, entwendet. Madame Bovary ist innerhalb der Romanhandlung von einem freundlichen, etwas weltfremden Mädchen zu einem absoluten Negativbeispiel des Müßigganges geworden, Sympathie und Mitleid bringt man zuletzt nur noch ihrem Ehemann Charles und der Tochter Berthe gegenüber auf, deren Leben vom Handeln Emmas zerstört wird.

Ein Paradebeispiel der Subtilität in der Figurenentwicklung, denn es lässt sich im Nachhinein nicht mehr rekonstruieren, an welchem Punkt Emmas Beschreibung ins Negative kippte. Dieser Zustand war einfach irgendwann erreicht, ohne, dass man zuvor eine Veränerung bemerkt hätte.

Warum heißen eigentlich so viele Romanfiguren Emma?

Elspeth Cooper – Die Lieder der Erde

Geschenkte Bücher sind ja immer ein wenig Glücksspiel. Die meisten Menschen, die mir Bücher schenken, kennen meinen Geschmack ganz gut, aber dennoch kennt man die verschenkten Exemplare ja nicht unbedingt selbst und kann die Nuancen des Geschmacks eines anderen nicht vollkommen einschätzen. So ein Fall dürfte dieses Buch insgesamt sein, das ich zu meinem Geburtstag erhielt. Die Lieder der Erde ist ein klassischer Fantasy-Roman, erschienen in der deutschen Übersetzung im Heyne-Verlag, der ja viel in dieser Richtung herausgibt. Englischssprachige Autoren lese ich normalerweise im Original, hier erhielt ich nun eine Übersetzung. Den wirklichen Schreibstil kann ich also nicht beurteilen, denn die Feinheiten gehen auf dem Weg oft verloren. Dass mich die holprige, gestelzte Sprache immer wieder störte, mag also die Schuld des Übersetzers sein – genau der Grund, warum ich die Originalsprache vorziehe, sofern ich ihrer mächtig bin. Wenn auch hier also schon Lesevergnügen verloren ging, so ist mein eigentliches Problem mit diesem Roman inhaltlicher Art.

Der Begriff „worldbuilding“ hat sich auch im deutschsprachigen Austausch über das Verfassen phantastischer Literatur bereits eingebürgert. Er meint das Entwerfen und Ausarbeiten einer eigenen Weltkreation, inklusive politischer Systeme, Religion und Traditionen. Es gibt einige Autoren, die sich hierbei durch Liebe zum Detail und große Kreativität auszeichnen, ganz vorn dabei in meinen Augen Brandon Sanderson (über Tolkien müssen wir nicht sprechen, das steht außer Frage, denn er ist bisher noch immer bei Weitem unerreicht), andere, und zu ihnen gehört leider auch Elspeth Cooper, legen in diesem Aspekt eine geradezu erstaunliche Ideenlosigkeit an den Tag.

Religion: Die Religion in Die Lieder der Erde ist ein schlecht kaschierter Abklatsch des Christentums. Der eine Gott der Christen ist hier eine Göttin, die den Namen Eador trägt, sie und ihre Kirchenstruktur funktionieren aber im Wesentlichen wie die katholische Kirche inklusive ihrer Klöster und Ritterorden im Mittelalter. Selbst der Rosenkranz als Bestandteil des Gebets ist, ohne auch nur einen anderen Namen erhalten zu haben, übernommen worden. Gleich in den ersten Sätzen dieses Romans stößt dem Leser diese platte Religions-Kopie sauer auf. Mangelnder Spannungsaufbau lässt sich hier auch noch feststellen, denn es wird mittem im eigentlich geradezu dramatischen Geschehen ausgeklinkt, um die Rangstruktur innerhalb der Kirche zu erklären. Das Interesse an der Handlung wird also, kaum dass es geweckt wurde, wieder erstickt durch eine trockene kirchenpolitische Beschreibung, deren Einfügung an dieser Stelle nachträglich zwar irgendwie legitimiert wird, den Leser aber dennoch eher abschreckt.

Namen: Frau Cooper denkt sich gern Namen aus. Sie scheint diese Namen auch sehr gern zu mögen, denn sie erschlägt ihr Publikum geradezu mit ausführlichen Beschreibungen vergangener Schlachten und weitläufiger Landschaften, in denen jede jemals dort gelebt habende Person und jedes noch so kleine landschaftliche Merkmal einen eigenen Namen tragen und mit diesem vorgestellt werden. Es ist zwar begrüßenswert, wenn ein Autor in der Lage ist, passende Namen für alle Gelegenheiten zu erfinden – und das gelingt Elspeth Cooper – eine solche Überhäufung der Erzählung mit Namen, die zu kennen keinerlei Gewinn bringt, schadet aber dem Lesefluss, da es kaum möglich ist, alle Namen zu behalten und einzuordnen. Die Konzentration auf weniger Personen und vor allem wesentlich weniger intradiegetisch historische Ereignisse hätte es dem Leser ermöglicht, weitaus besser den Überblick zu behalten. Alternativ wäre wenigstens eine Karte hilfreich gewesen, anhand derer man sich orientieren könnte. In Anbetracht der weiten Reise des Protagonisten wäre dies ohnehin wünschenswert, denn so wird man mit teils sehr wenigen Worten durch verschiedene Länder geführt, die man nicht zueinander in Relation setzen kann.

Hauptfigur: Der Protagonist des Romans ist so blass gezeichnet, dass mir mittlerweile, wenige Wochen nachdem ich Die Lieder der Erde las, sein Name bereits entfallen ist. Er hat viel Potenzial, als Waise, der auch von seiner Pflegefamilie nach der Entdeckung seiner Magiebegabung verstoßen wurde und eingebunden in die Kirchenstruktur aufwächst, die eben dieser Magie extrem feindlich gegenübersteht. Dadurch, dass man kaum in der Lage ist, sich in ihn Hineinzuversetzen, denn sein Handeln und Denken wird auffällig distanziert beschrieben, ist er keine Identifikationsfigur. Geprägt von kirchlicher Erziehung, aber durch seine magischen Fähigkeiten den Grundsätzen, die ihm mit körperlicher Gewalt eingeprügelt wurden, bereits unverschuldet entgegengesetzt, bietet er grßes Konfliktpotenzial, das aber ungenutzt im Sande verläuft. Die Informationen über ihn sind darüberhinaus nicht sinnvoll verteilt; beispielsweise besitzt er seit vor dem Einsetzen der Handlung die Fähigkeit, sich in einen Adler zu verwandeln. Dies wird aber erst sehr spät enthüllt, nachdem er auf eine zweite Gestaltwandlerin trifft. Hätte der Leser diese Information vorher erhalten, so wäre die heimliche Rebellion des Protagonisten gegen die ihn unterdrückende Kirche ersichtlich gewesen – wodurch er zu einer deutlich interessanteren Identifikationsfigur geworden wäre als es der unterwürfige Novize war, für den man ihn bis dahin hielt. Solche Fehler unterlaufen Elspeth Cooper immer wieder in Bezug auf ihre Hauptfigur, was die Handlung insgesamt stark der Logik und Konsistenz beraubt. Dagegen sind viele der Nebencharaktere sehr gelungen, besonders der Mentor Alderan – weshalb ich mich an seinen Namen auch noch erinnere.

Der Böse: Damit eine Handlung spannend ist, braucht sie Konflikte, soviel Grundlage muss nicht weiter erklärt werden. Häufig, gerade im Bereich der phantastischen Literatur, besteht dieser wichtigste Konflikt darin, dass der Protagonist gegen einen mächtigen Gegner kämpft, der die ganze Welt bedroht. Den gibt es hier. Er ist ein Kind zweier Magiebegabter, der das Machtniveau aller anderen um ein Vielfaches überschreitet und nur durch die vereinten Kräfte aller Wächter der Welt in Schach gehalten, aber nicht besiegt werden kann. Kommt das bekannt vor? Hier kann man gleich eine ganze Reihe Klischees abhaken. Bedrohung der Existenz der Welt, übermächtiger Gegner, „Chosen-One-Syndrom“, denn nur der Protagonist erreicht den Bösen im Ausmaß seiner Macht. Vollkommen nebensächlich wird erwähnt, dass die Bedrohung der Welt darin besteht, dass der Böse einen Schleier zwischen den Welten einreißen will. Was damit einhergeht, kann man nur erahnen, wenn man grob weiß, wie die Anderswelt der keltischen Mythologie beschaffen ist, denn erklärt wird es nicht.

Vom Konzept der Magie, das so einige Lücken hat, und den 100 Meilen am Tag laufenden Pferden fange ich garnicht erst an. Auf Magiekonzepte werde ich in einem anderen Beitrag in Zukunft noch einmal separat eingehen, die wirren Entfernungsangaben verbuchen wir als Nebeneffekt der mangelnden Karte – offensichtlich hatte die Autorin selbst keinen wirklichen Überblick mehr über die Ausdehnung ihrer Welt und stellte fest, dass ihre Figur viel zu weit von ihrem Ziel entfernt war, was durch ein übernatürlich schnelles Pferd korrigiert werden musste, oder sie vergaß, eine Flussschiffahrt zu erwähnen.

Abschließend sei bemerkt, dass bei aller Kritik dieses Buch genau zwei Tage brauchte, um gelesen zu sein. Es war also kein unwillkommenes Geschenk, ganz im Gegenteil, ich las es wirklich gern. Aber es bot sich an, auf seiner Grundlage viele dieser häufig auftretenden Probleme einmal anzusprechen.