Gustave Flaubert – Madame Bovary

von obstivision

Eine Vorlesung zum skandinavischen Roman im letzten Semester gab mir viele Anregungen im Hinblick auf zu Lesendes. Vorrangig waren das aber die Romane aus anderen europäischen Ländern, die zur Einordnung genannt wurden. Darunter war auch Die Brüder Karamsov von Fjodor Dostojewskij, nun folgt Flauberts Madame Bovary, die Erzählung der jungen Emma, die sich auf dem Landwirtschaftsbetrieb ihres Vaters langweilt und durch ihre Heirat mit dem nicht allzu intelligenten und erfolgreichen, sie aber stets liebevoll und untertänig umsorgenden Arzt Charles Bovary hofft, einem aufregenden Stadtleben näher zu kommen.

Auch als Ehefrau langweilt sie sich schnell wieder und stürzt sich in zwei Affären, in denen sie hofft, ihre Träume von romantischer Liebe erfüllt zu sehen. Beide Male glaubt sie zunächst daran, gefunden zu haben, was sie sucht, sie vernachlässigt Ehemann, Kind und Haushalt, um sich dem Liebhaber hinzugeben, verstrickt sich immer mehr in ein Gewirr aus Schulden und findet doch immer wieder nur Langeweile und Gewöhnung, bis sie sich, verarmt und verzweifelt, selbst umbringt. Die Trauer über ihren Verlust reißt auch ihren Mann mit in den Tod, nachdem er, der niemals eifersüchtig war und immer an die Zuneigung seiner Frau glaubte, zuletzt doch unumstößliche Beweise für ihren Ehebruch findet.

Soweit klingt die Handlung nicht überraschend,was sie hingegen lesenswert macht, ist, wie Flaubert mit seiner Hauptfigur umzugehen weiß. Zu Beginn stellt er sie dar als etwas naives, intelligentes Mädchen vom Lande, das von der großen Welt und vor allem dem Leben in der Großstadt Paris träumt. Sie wirkt sympathisch und man möchte ihren Weg mitgehen und sie glücklich werden sehen. Ein Ball, an dem das Ehepaar Bovary teilnehmen darf, weil der Arzt den Gastgeber zufriedenstellend behandelt hat, lässt hoffen, dass Emma erreichen wird, was sie sich erträumt. Ganz subtil jedoch verändert der Autor den Eindruck, den man von Emma erhält. Ihre Naivität wird zur Sorglosigkeit, ihre Suche nach romantischer Liebe driftet ins nahezu Lächerliche ab. Die heftigen, nahezu obsessiven aber innerhalb kürzester ausgebrannten Affären sind nur noch Beispiele dafür, wie ein Mensch die Kontrolle über sein Leben verliert. Dies gipfelt in dem immensen Schuldenberg, der unter dem Einfluss des gerissenen Dorfkaufmannes angehäuft wurde und aufgrund dessen der gesamte Besitz der Bovarys gepfändet wird. Auch dieser letzten Konsequenz ihres liederlichen Handelns weiß Emma sich zu entziehen, durch den Selbstmord mit Hilfe von Arsenik, das sie ihrem Nachbarn, einem Apotheker, entwendet. Madame Bovary ist innerhalb der Romanhandlung von einem freundlichen, etwas weltfremden Mädchen zu einem absoluten Negativbeispiel des Müßigganges geworden, Sympathie und Mitleid bringt man zuletzt nur noch ihrem Ehemann Charles und der Tochter Berthe gegenüber auf, deren Leben vom Handeln Emmas zerstört wird.

Ein Paradebeispiel der Subtilität in der Figurenentwicklung, denn es lässt sich im Nachhinein nicht mehr rekonstruieren, an welchem Punkt Emmas Beschreibung ins Negative kippte. Dieser Zustand war einfach irgendwann erreicht, ohne, dass man zuvor eine Veränerung bemerkt hätte.

Warum heißen eigentlich so viele Romanfiguren Emma?